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Beitrag vom 05.06.2009
Die Perlmutterfarbe. Nach dem Roman von Anna Maria Jokl. Die DVD
Kristina Tencic
Nach seinem Erfolg mit "Wer früher stirbt ist länger tot" wagte sich Marcus Rosenmüller an die Verfilmung des Kinderromans "Die Perlmutterfarbe". Der Film spielt 1931, als sich das Unheil...
... in Deutschland bereits abzeichnet und spürbar in der Luft liegt.
Alexander ist ein ganz normaler Junge aus einer bayrischen Kleinstadt. Nach der Schule trifft er sich häufig mit seinen Freunden, rauft sich mit der Parallelklasse, schwärmt für eine Mitschülerin und träumt von der Begegnung mit seinem Vater, dem Schiffskoch. Er kennt ihn nur aus Erzählungen seiner Mutter, die sagt, er sei verschollen.
Bei den Vorbereitungen zu einem Malwettbewerb, den er unbedingt für seinen Schwarm gewinnen möchte, gerät die neueste Erfindung seines Freundes Maulwurf, dem Tüftler und Erfinder, in seine Tasche: Die Perlmutterfarbe. Gibt man diese Farbe auf Papier, strahlt und leuchtet sie in brillantem Weiß, ganz so wie Eiskristalle.
Von einem Jungen aus der B-Klasse leiht sich Alexander ein wertvolles Buch von dessen Vater mit dem Titel "Wir sind alle Menschen", aus dem er etwas abpausen möchte. Aus Versehen läuft die Perlmutterfarbe auf das Buch und Alexander wirft es aus Affekt in die Ofenflammen. Ein Spiel aus Lügen und Intrigen beginnt. Der Junge gerät in einen gefährlichen Strudel aus Unwahrheit und Verdacht, der in die Gründung einer Bande unter Anführung des Klassenältesten mündet. Die Parallelklasse wird unter der Parole "Der Freund von meinem Feind ist Feind!" bekriegt und das Kinderspiel beginnt einen bitteren Geschmack zu entwickeln. Alexander wird zum unfreiwilligen Verbündeten, der nicht den Mut aufbringt, sich seinen Fehlern zu stellen.
Die Eskalation von Spielsituationen hat man unlängst in dem Film "Die Welle" beobachten können, aber auch in "Das Experiment" (2001) werden ähnlich gelagerte gruppendynamische Prozesse aufgezeigt. Aktuell wird in den Medien aufgrund der Rezession viel Bezug zu den Vorgängen in den 1930er Jahren genommen. Leichtfertig werden dabei unbedachte Parallelen gezogen, die jedoch hoffentlich einen vernünftigen Diskurs anstoßen.
Der Film "Die Perlmutterfarbe" ist nicht nur eine Geschichte über Bandentum und Lügen, sondern viel allgemeiner lässt uns der Regisseur eintauchen in die Sogwirkung und die Entstehung totalitärer Ordnungen. Dies geschieht vor dem Hintergrund des Mikrokosmos der bayrischen Schule im Jahre 1931, was - nebenbei gesagt - auch äußerst authentisch durch den Dialekt der JungschauspielerInnen wiedergegeben wird.
In diesem kleinen Rahmen wird die unheilvolle Zukunft bereits fühlbar, selbst unter den Kindern breitet sich die bedrohliche Atmosphäre, aber auch zugleich die mystische Anziehungskraft in ihrer vollen Wirkung aus. Die Verbrennung des Buches "Wir sind alle Menschen" wird zum symbolischen Akt der nachfolgenden Schreckensereignisse. Die Vorlage des Drehbuches ist der Roman "Die Perlmutterfarbe" von Anna Maria Jokl. Diese umging zwar in ihrem Werk jegliche zeitliche Festlegung, doch aus ihrer Biografie lässt sich erschließen, auf welches Zeitalter sie Bezug nimmt.
Das Manuskript schrieb die Jüdin Jokl, nach ihrer Flucht aus Nazi-Deutschland, bereits 1937 in Prag, also in weiser Voraussicht, welche Grausamkeiten in den Nachfolgejahren auf Europa zukommen würden. Nur durch einen Glücksfall konnte das Manuskript gerettet und veröffentlicht werden. Doch das Drama hatte damit noch nicht sein Ende gefunden: 1950 zog Jokl in die DDR, um den Roman zu verfilmen, doch das Projekt wurde abgelehnt und die weitere Verbreitung der "Perlmutterfarbe" gestoppt. Somit stieß dieses Buch nicht nur im NS-Regime auf taube Ohren, sondern zeigt auch in der DDR. Jokl ist 1965 nach Jerusalem ausgewandert, wo sie 2001 starb. Erst in den 1990er Jahren wurde das Buch in Deutschland erneut publiziert und wird mit der jetzigen Verfilmung nun hoffentlich die wohlverdiente Anerkennung finden.
Zum Regisseur: Marcus H. Rosenmüller wurde 1973 geboren und studierte Film/Fernsehspiel in München, wo er währenddessen seine ersten Kurzfilme drehte. "Wer früher stirbt, ist länger tot" (2006) ist sein Debütfilm, der unvorhergesehene Erfolge erzielte, vielfach ausgezeichnet wurde und 1,8 Mio. BesucherInnen zählte. Es folgten einige Kinofilme, wie etwa "Beste Zeit" oder "Räuber Kneissl". Allen seinen Filmen ist der Drehort Bayern gemein. "Die Perlmutterfarbe" ist das dritte Drehbuch, das er zusammen mit Christian Lerch geschrieben hat.
AVIVA-Tipp: Mit viel Liebe zum Detail erzählt der Regisseur Rosenmüller die Parabel des Totalitarismus und wird dabei vollkommen dem Untertitel zu Jokls Vorlage "Ein Kinderroman für fast alle Leute" gerecht.
Die Perlmutterfarbe
Deutschland 2008
Regie: Marcus H. Rosenmüller
Drehbuch: Marcus H. Rosenmüller und Christian Lerch nach dem Roman von Anna Maria Jokl
DarstellerInnen: Markus Krojer, Dominik Nowak, Zoe Mannhardt, Benedikt Hösl u.a.
FSK: ab 6
DVD-Verleihstart: 09. Juli 2009, DVD-Verkaufsstart: 16. Juli 2009
Im Verleih der Constantin Film
Extras: Making of (ca. 20 Min.), Deleted Scenes und Outtakes (ca. 10 Min.), Set-Tour (ca. 5 Min.), Spaß am Set (ca. 2 Min.), Mit den Kids beim Dreh (ca. 13 Min.), Die Menschenfabrik des Dr. Knopf – Film in s/w (ca. 4 Min.), VFX-Making of (ca. 7 Min.), Audiokommentar, Darsteller-Infos
Weitere Infos zum Film unter: www.perlmutterfarbe.film.de